Buchkritik „Gauland“ von Olaf Sundermeyer


Der Journalist Olaf Sundermeyer hat 2018 mit dem Buch „Gauland. Die Rache des alten Mannes“ eine kritische Biografie zu dem derzeit wichtigsten AfD-Fuktionär vorgelegt. 
Sicher war dieses Buchprojekt auch der Versuch von der kritischen Aufmerksamkeit gegenüber der AfD zu profitieren. So scheint das mit unter 200 Seiten für eine Biografie auch eher dünne Werk recht schnell produziert worden zu sein.
Da Sundermeyer Gauland und dessen (ehemalige) WeggefährtInnen immer wieder persönlich traf, sind größere Teile des Buches im eher lockeren Reportagestil geschrieben.

Sundermeyer beschreibt den Lebensweg dieses Bonsai-Bismarck, der bis zu seinem 72. Lebensjahr Teil des Establishments war, das er heute angreift. Gauland war Zeit seines Arbeitslebens ein politischer Beamter, vor allem im hessischen CDU-Establishment. In Frankfurt war er Mitarbeiter des neu gewählten CDU-Oberbürgermeisters.
Damals war er sogar Autor im linken Magazin „Pflasterstrand“ und formulierte für seinen Chef die Festrede 1980 des Adorno-Preis für Habermas. Die sollte dem CDU-OB für den Brückenschlag zum linksgrünen Milieu dienen. In der Rede hieß es u.a.: 
„Es ist der »Kritischen Theorie« vorgeworfen worden, dass sie zu jenem Ausbruch von Gewalt beigetragen habe, der unsere Ordnung in den letzten zehn Jahren erschüttert hat. Ich halte diesen Vorwurf für falsch, und zwar nicht nur deshalb, weil Sie selbst diese Gewalt als »Linken Faschismus« verworfen haben, sondern vielmehr weil die »Kritische Theorie« in ihrem wissenschaftlichen Gehalt einen solchen Vorwurf nicht rechtfertigt.“
Von der politischen Kultur her orientiert sich der England-affine Gauland damals eher an britischen Politikern wie Edmund Burke. 

Nach seiner Pensionierung bzw. schon davor wird Gauland vom Polit-Establishment abgekoppelt. Er beginnt sich von seiner eigenen Partei, der CDU zu entfremden und wendet sich dem Kreis um Lucke zu, der 2013 die AfD gründet.
Doch in einigem ist er sich auch treu geblieben. Er agierte immer eher in der zweiten Reihe, denn er ist kein Volkstribun. Sundermeyer nennt ihn stattdessen einen „gewieften Machttaktiker“ und attestiert ihm ein „ausgeprägtes Gefühl für Stimmungen“. Dabei spielt er geschickt mit seinem Publikum: „Alle anderen erklärt er zu Feinden. Nicht direkt, das ist nicht sein Stil. Die letzte Schlussfolgerung überlässt er stets seinen Zuhörern. Also denen, die hier und jetzt »Volksverräter!« skandieren. Gauland hat es ihnen in den Mund gelegt. Das ist seine Art, sich als Redner aus der Verantwortung zu stehlen.“ (Seite 15) 
Sein Verhältnis zur AfD-Basis und den WählerInnen ist daher instrumentell. Er braucht die WutbürgerInnen als Stimmvieh und die Parteibasis als innerparteilichen Machtbasis.
Gauland ist laut Sundermeyer ein „Ost-West-Versteher“ und verstehe es die Mentalitäten in Ost wie West zu bedienen.
Laut Sundermeyer hat Gauland aus der Startphase der Grünen gelernt und versucht alle Strömungen in der Partei zu berücksichtigen: „Als Lotse der Bewegung hat er dafür gesorgt, dass ihre losen Teile aufeinander zu liefen, statt sich weiter zu spalten, in der AfD und außerhalb der Partei.“ (Seite 17) 
Dadurch sei Gauland ein „strategischer Fundi“. 
Nach Sundermeyer ist Gauland vor allem ein Opportunist ohne positive Vision. Das sehe man bereits an seinem Vorbild, dem opportunistischen französischen Diplomaten Charles Maurice de Talleyrand. 
Während die AfD für Höcke ein Vehikel für seine Ideologie sei, wäre sie für Gauland ein Instrument für seine persönlichen Ziele. Er versucht aus Gaulands Handschrift eine Strategie zu entziffern. Laut Sundermeyer sei sein Ziel ein Auflösungsprozess der Union und die Übernahme der Regierung bis 2025. 
Gauland unterscheidet sich aber auch auf andere Weise von den übrigen AfD-FunktionärInnen. So hasst er etwa nicht die Mainstreammedien.
Die „Selbstradikalisierung“ Gaulands setzt der Autor erst mit PEGIDA 2015 an. Doch auch nach der Beschreibung der Vogelschiss-Rede Gaulands konstatiert Sundermeyer:
„Gauland selbst ist kein Rechtsextremist.“ (Seite 20) 
Immerhin schreibt er am Buchende: „Gauland selbst gefällt sich noch immer in der Rolle des konservativen Gentleman, die er früh kultiviert hat und lange Zeit auszufüllen verstand. Doch mit seiner konsequent durchgezogenen Selbstradikalisierung in der AfD ist er aus der Rolle gefallen. Gauland ist kein Konservativer mehr. Er will nicht bewahren, sondern zerstören.“ (Seite 168) 

Es bleibt unklar, ob Gauland ein radikalisierter Wertkonservativer ist, oder eher seinen persönlichen Rachefeldzug führt. Vielleicht beides.
Durch die Lektüre lernt die/der Leser*in sicher einiges über Gauland als Individuum. Ob jede Einschätzung und Mutmaßung auch tatsächlich stimmt, sei einmal dahin gestellt. Der grobe Rahmen dürfte aber zutreffen.
Ärgerlich ist Sundermeyers unkritisches Verhältnis zu Konrad Adam, der mit Gauland die AfD gründete. Er stellt Adam Gauland als positiven Gegenspieler und guten Konservativen in der AfD gegenüber. Dabei ist Adam trotz verlorener Machtkämpfe bis heute in der AfD aktiv, auch wenn er eher an den Rand gedrängt wurde. 
Auch den von Adam wiedergekäute Mythos der idealistischen AfD-Gründergeneration und seine Behauptung, am Anfang sei kein Geld da gewesen, übernimmt Sundermeyer unkritisch. Das ist aber ziemlicher Quatsch! Recherchen des SPIEGEL und der Schweizer WOZ deuten darauf hin, dass der Milliardär August von Finck bereits im Gründungsjahr 2013 über eine PR-Agentur AfD-Veranstaltungen finanziert hat.
Die verharmlosende Einschätzung Sundermeyers der AfD als „Stresstest für die Demokratie“ irritiert, genauso wie seine Sicht auf den ehemaligen Neuköllner SPD-Bürgermeister Buschkowsky als „Gegengift gegen die AfD“. Demnach müssten die etablierten Parteien nur Teile der AfD-Themen übernehmen. Die AfDsierung der etablierten Parteien zeigt aber eher die indirekte Macht der AfD. 


Olaf Sundermeyer, Gauland. Die Rache des alten Mannes, München 2018. 

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