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Buchkritik „Der menschliche Makel“ von Philip Roth

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Das Buch „Der menschliche Makel“ des US-Schriftstellers Philip Roth gilt inzwischen als Klassiker, woran auch die Verfilmung mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle mitschuldig sein dürfte.  Im englischen Original erschien das Buch im Jahr 2000. Es spielt aber im Jahr 1998, dem Jahr der Clinton-Lewinsky-Affäre:  „Es war der Sommer Sommer, in dem jeder an den Penis des Präsidenten dachte und das Leben in all seiner schamlosen Schlüpfrigkeit Amerika wieder einmal in Verwirrung stürzte.“ (Seite 12)   Coleman Silk, der angesehene Literatur-Professor und Ex-Dekan an der Universität von Athena in Neuengland, reagiert auf das Fehlen zweier im unbekannter Studenten mit der ironischen Bemerkung:   „Kennt jemand diese Leute? Hat sie schon mal jemand im College gesehen, oder sind es dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen?“   (Seite 15)  Doch die beiden Studenten sind schwarz und das Zitat wird absichtlich als rassistischer Kommentar missinterpretiert. Coleman Silk will sich nicht entschuldi

Buchkritik „Faschistische Ideologie“ von Zeev Sternhell

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    Der israelische Professor und Holocaustüberlebende Zeev Sternhell ist einer der bekanntesten Faschismusforscher weltweit. Mit seinem Buch „Faschistische Ideologie. Eine Einführung“ ist 2019 eine Einführung in seine Analyse des Phänomens Faschismus erschienen. Er analysiert den Faschismus als Bewegung, d.h. in seiner Bewegungsphase. Deren Wurzeln reichen bis 1880-1890 zurück. Diese Zeit nennt Sternhell „Inkubationsjahre des Faschismus“.   Linke Wurzeln des Faschismus Nach Sternhell müssen auch die linken Wurzeln des Faschismus erwähnt werden. Denn hochrangige Sozialisten waren an seiner Entstehung und Entwicklung beteiligt. Sternhell tut das aber ohne sich auf das dünne Eis der Totalitarismustheorie zu begeben. Er streicht deutlich heraus: „Während Stalins Diktatur niemals als Anwendung der marxistischen Staatstheorie beschrieben werden konnte, war der faschistische Terror in die Praxis umgesetzte Doktrin in der methodistischsten Art. Beim Faschismus haben wir die perfe

Buchkritik „Herbstmilch“ von Anna Wimschneider

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    Ein Kommentar wie „Sie hatte es nicht einfach in ihrem Leben“ wäre für das Leben von Anna Wimschneider eine starke Verharmlosung. In der 1984 erschienenen Autobiografie „Herbstmilch – Lebenserinnerungen einer Bäuerin“ berichtet die Bäuerin Anna Wimschneider (1919-1993) über ihr hartes Leben auf einem Bauernhof bei Neuhofen in Niederbayern . Wimschneiders Mutter stirbt 1927 im Wochenbett. Da ist Anna Wimschneider gerade einmal acht Jahre alt. Als ältestes Mädchen und viertes von acht Kindern muss sie fortan die Mutter ersetzen. Sie muss fünf Uhr morgens aufstehen, im Stall helfen und erst dann darf sie zur Schule gehen. Dazu heißt es noch Hausarbeit sei „Dirndlarbeit“ und sie muss als Frau kochen, nähen und waschen , während die anderen schon zu Bett gegangen sind. So näht sie als Minderjährige bis zehn Uhr Abends, während die Anderen schon zu Bett gegangen sind. Ihre Brüder bringen später ihre Schmutzwäsche auch nach ihrem Auszug nach Hause zu ihrer Schwester zum Wasche

Buchkritik „Stern 111“ von Lutz Seiler

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In diesem Jahr kam der Roman „Stern 111“ von Lutz Seiler heraus, der seltsame Titel ist der Name eines Radio-Modells. Es sind die Monate zwischen der Noch-DDR und der Noch-nicht-ganz-BRD, in denen der Roman angesiedelt ist. In diesem Interregnum ist vieles möglich, weil die alte Staatsmacht zerbröckelt und die neue noch nicht gefestigt ist.  Hier kann man in Ostberlin illegal Taxi fahren, illegal wohnen und eine illegale Kellerkneipe betreiben. Alle drei Dinge tut der Hauptprotagonist Carl.  Aus der DDR-Provinzstadt Gera gehen bzw. fliehen Walter und Inge Bischoff 1989 in den Westen. Als Nachhut zurück bleibt ihr Sohn Carl, der das Fehlen seiner beiden Eltern möglichst lange kaschieren soll.  Doch Carl hat nach ein paar Wochen genug und geht Ostberlin. Von dem Ortswechsel verspricht er sich den Beginn seiner Lyriker-Laufbahn. Denn Carl ist zwar ein ausgebildeter Maurer, aber gleichzeitig ist er auch Dichter.  In Berlin gerät er „[...] in die entlegensten, finsteren Hinterhöfe hineinwuc

Buchkritik „Machandel“ von Regina Scheer

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„Machandel“ von Regina Scheer ist zugleich ein DDR-Roman, ein Wende-Roman und ein Brandenburg-Roman. Die Kapitel im Buch geben die Perspektive unterschiedlicher Protagonist*innen wieder, deren Leben mit dem kleinen fiktiven Ort namens Machandel verbunden sind.  Dabei ist Machandel sowohl ein alter plattdeutscher Name Wacholderbusch als auch der Name eines kleinen fiktiven Dorfes in Brandenburg, welches im Jahr 1985 nur noch von 20 Personen bewohnt wird.    Der Roman setzt kurz vor Kriegsende 1945 an, als nach Machandel eine Zwangsarbeiterin verschleppt wird. Später fliehen auch kommunistische KZ-Häftlinge von einem Todesmarsch und landen in Machandel. Aus einem dieser KZ-Häftlinge wird später ein hochrangiger DDR-Funktionär: Hans Langner, Jahrgang 1910.  Der Arbeiterjugendliche war in der Weimarer Republik Parteikommunist und ging 1933-35 in die Illegalität, nachdem er bis 1933 zum Thälmann-Begleitschutz gehört hatte. Nach seiner Verhaftung verbrachte er zehn Jahre, 1935 bis 1945, im Z

Buchkritik „Stierblutjahre“ von Jutta Voigt

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In dem Buch „Stierblutjahre“ skizziert die Autorin Jutta Voigt „Die Boheme des Ostens“, also in der DDR.  Unter anderem durch Zitate beispielsweise von Erich Mühsam oder Hermann Hesse zum Thema Boheme am Anfang von Kapiteln soll klar gemacht werden, was bzw. wer mit dem Boheme-Begriff gemeinst ist.   Erinnert wird in dem Buch gleich zu Anfang auch an die Boheme der Wendezeit:  „[...] in Hunderten stillgelegter Fabriketagen und Clubwohnungen zertanzte die Partyboheme die Engstirnigkeit der Provinz, die Spießigkeit der Eltern und die alltäglichen Forderungen des gewöhnlichen Kapitalismus: Geld verdienen, Pflicht erfüllen, Karriere machen.“ (Seite 13)  In der DDR bildete sich eine eigene Boheme heraus, die sich vom SED-Parteistaat abgrenzte, aber auch einen eigenen Charakter entwickelte:  „Viel vom definitorisch Allgemeinen, dass man über die Boheme weiß, trifft auch auf die Boheme des Ostens zu, eines jedoch nicht: die Verachtung des Bürgerlichen. Ganz im Gegenteil, die Sehnsucht nach de

Buchkritik „Die rechtschaffenen Mörder“ von Ingo Schulze

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Das Buch „Die rechtschaffenen Mörder“ von Ingo Schulz ist, entgegen der, aus seinem Titel abgeleiteten Vermutungen, kein Krimi. Es geschieht zwar ein Doppel-Selbstmord oder Doppel-Mord im letzten Drittel, aber den größten Teil des Buches geht es gar nicht um diese Tat. Der Roman von Schulz besteht aus drei Teilen von unterschiedlicher Größe. Er ist in Dresden-Blasewitz und der nahe gelegenen Sächsischen Schweiz angesiedelt. Im ersten Teil des Buches, der mehr im Umfang als die Hälfte ein nimmt, geht es um Norbert Paulini, Jahrgang 1955, einen ausgemachten Büchernarren. Es geht ihm nicht ums Schreiben, sondern um das Lesen. So macht er seine Passion zum Beruf und wird Buchhändler in der damaligen DDR. Er eröffnet 1977 ein Antiquariat. In seinem Sortiment führt er in der DDR seltene Werke. Das macht seinen versteckten Buchladen in Dresden-Blasewitz zum Anlaufpunkt für Personen, die Lektüre jenseits der DDR-Massenware suchen. Aus dieser Bildungsbürgertum-Kundschaft wird irgendwann e