Buchkritik „Faschistische Ideologie“ von Zeev Sternhell
Der israelische Professor und Holocaustüberlebende Zeev
Sternhell ist einer der bekanntesten Faschismusforscher weltweit. Mit seinem
Buch „Faschistische Ideologie. Eine Einführung“ ist 2019 eine Einführung in
seine Analyse des Phänomens Faschismus erschienen.
Er analysiert den Faschismus als Bewegung, d.h. in seiner
Bewegungsphase. Deren Wurzeln reichen bis 1880-1890 zurück. Diese Zeit nennt
Sternhell „Inkubationsjahre des Faschismus“.
Linke Wurzeln des Faschismus
Nach Sternhell müssen auch die linken Wurzeln des Faschismus
erwähnt werden. Denn hochrangige Sozialisten waren an seiner Entstehung und
Entwicklung beteiligt. Sternhell tut das aber ohne sich auf das dünne Eis der
Totalitarismustheorie zu begeben. Er streicht deutlich heraus:
„Während Stalins Diktatur niemals als Anwendung der marxistischen Staatstheorie beschrieben werden konnte, war der faschistische Terror in die Praxis umgesetzte Doktrin in der methodistischsten Art. Beim Faschismus haben wir die perfekteste Verwirklichung der Einheit von Denken und Handeln.“ (Seite 114-115)
Die, z.T. linke, Gründergeneration des Faschismus
kultivierte eine Demokratieverachtung allgemein und daraus folgend einen
Antiparlamentarismus im Speziellen. Aus ihren sozialistischen Wurzeln heraus
bildeten sie die Synthese mit dem Nationalen, also einen „Nationaler Sozialismus“ oder
„Sozialistischer Nationalismus“, der eine Absage an den sozialistischen Internationalismus
enthielt. Dieser „nationale Sozialismus“ ist auch antisemitisch:
„Der nationale Sozialismus war antisemitisch, denn Antisemitismus – mit sozialen wie rassistischen Begründungen – war das perfekte Werkzeug zur Integration des Proletariats in die nationale Gemeinschaft und besaß den Vorteil, auch das durch Proletarisierung bedrohte Kleinbürgertum einbinden zu können.“ (Seite 38)
Sternhell bringt das auf die vereinfachende Formel:
„Nationalismus + Sozialismus = Faschismus“.
Mit dem neuen Gebräu adressiert wird die Arbeiterklasse,
denn die 'sozialistischen' Anteile kritisieren weiter die soziale
Ungerechtigkeit, allerdings nur innerhalb der eigenen Nation.
Gleichzeitig wird die Demokratie als Schwäche verstanden und
man positioniert sich antiparlamentarisch.
Solche antibürgerlichen und antiparlamentarischen
Einstellungen waren unter SozialistInnen und SyndikalistInnen bereits häufig
verbreitet. So war der Kurswechsel einiger FaschistInnen weder ein
Einzelphänomen noch reiner Opportunismus. Der italienische Faschistenführer
Mussolini war immerhin der Chefredakteur einer sozialistischen Tageszeitung,
und der britische Faschistenführer Oswald Mosley war Labour-Minister.
Aufkommen faschistischer Massenbewegungen nach Endes des
Ersten Weltkriegs
Aus der revolutionären Einstellung mancher Linker wird aber
eine Revolte der neuen Nationalisten. Eine Revolte gegen Rationalismus,
Materialismus, Liberalismus und die bürgerliche Gesellschaft, also „auch eine
Revolte gegen die Dekadenz“ (Seite 68).
Am Ende wird der Erste Weltkrieg als Zerstörung des
bisherigen Zustands begrüßt. Die z.T. im italienischen Faschismus aufgegangenen
Futuristen taten das beispielsweise.
Vor dem Ersten Weltkrieg umfasst der Faschismus relativ
kleine Gruppen, die sich in Zirkeln organisierten.
Erst Erster Weltkrieg, Oktoberrevolution und
Wirtschaftskrise der 1920er Jahre lassen ihn zur Massenbewegung werden. Somit
sind die faschistischen Bewegungen die „Kinder der Nachkriegskrise“ nach 1918.
Es entstand eine „Bewegung junger Männer“, geprägt von den Vorstellungen
soldatischer Männlichkeit.
Diese Massenbewegungen waren auch ein Resultat der
Massengesellschaften:
„Sowohl die faschistische Ideologie als auch der politische Stil des Faschismus waren offenkundig Produkte der neuen Massengesellschaft.“ (Seite 92)
Als Lehre aus der Niederlage der Arbeiterbewegung von 1914
kommt es bei vielen zum Paradigmenwechsel: Die Nation ersetzt die Klasse. Die
derart zum Nationalismus Bekehrten organisieren sich. Die Nation wird dabei als
lebender Organismus verstanden.
„Diese Betrachtung des Menschen als integraler Teil eines organischen Ganzen ist die Grundlage der politischen Philosophie des Faschismus.“ (Seite 84)
Was war Faschismus?
Sternhell behandelt vor allem die Faschismus-Geschichte in
Italien und Frankreich, aber auch in Spanien, Belgien und Großbritannien.
Er „ignoriert bewusst den Nazismus“, der für ihn wegen
seines biologistischen Determinismus keine „bloße Variante des Faschismus“
(Seite 13) ist.
Als wichtiges Element im Faschismus erkennt er auch einen
Neo-Romantizismus, der sich gegen die industrielle Moderne bzw. ihre
Auswirkungen wendet.
„Die faschistische Revolution betrachtete sich als Konterrevolution gegen die industrielle Revolution, die den Menschen dem Landleben entrissen und ihn in der Stadt eingesperrt hatte, und verkündete die Überlegenheit des 20. Jahrhunderts, des Landlebens und des Sportstadions über das 19. Jahrhundert, die Mietskasernen und die Kneipe.“ (Seite 74-75)
Sternhell sieht einen Streit zwischen einen technokratischen
und einem romantischen Faschismus. Der Faschismus war nicht nicht per se
anti-modern. Er wollte eine neue Zivilisation erschaffen, in der auch moderne
Technik seinen Platz hatte.
Diese neue Zivilisation war aber eine Absage an den neuen
Humanismus:
„Indem er den hochentwickelten rationalistischen Humanismus des alten Europas verwirft, erhebt der Faschismus die primitiven Instinkte und die ursprüngliche Gefühlswelt des Barbaren zu seinen Idealen.“ (Seite 74)
Es ging also nicht allein um die Wiederherstellung eines
alten Zustandes, wie in der traditionellen, meist monarchistischen Rechten. Die
Schwäche dieser traditionellen Rechten begünstigte eher den Aufstieg des
Faschismus. Denn diese geschwächte konservative Rechte war schließlich der
notwendige Partner bzw. Steigbügelhalter des Faschismus, wenn er an die Macht
gelangen wollte:
„In den kritischen Momenten waren die einzigen ihnen möglichen Bündnisse solche mit konservativen und reaktionären Elementen; schließlich war der größte Feind der Faschisten die Linke.“ (Seite 122)
Fazit: ein wichtiger Baustein
Sternhells Buch ist eine gute Einführung in die Genese des
europäischen Faschismus.
Allerdings wird für Anfänger*innen umfangreiches
historisches Hintergrundwissen
vorausgesetzt. Manchmal stört auch das starke namedropping etwas.
Ebenso hätte in der weiterführenden Literatur rechte
Quellen als solche markiert werden sollen, um eine Unterscheidung zu normaler
Literatur zu gewährleisten.
Zu Deutschland hätte man sich einen Abschnitt zur
Lebensreform-Bewegung und zur „Konservativen Revolution“ gewünscht, welche bis
auf Arthur Moeller von den Bruck unerwähnt bleibt. Das wäre nämlich das
deutsche Pendant zum italienischen und französischen Faschismus bzw. dessen
Vorläufer gewesen.
Trotzdem ist das Erscheinen der Übersetzung aus dem
Englischen von Volkmar Wölk sehr zu begrüßen, weil es ein wichtiger Baustein
zum Verständnis des Faschismus darstellt.
Zeev Sternhell: Faschistische Ideologie. Eine Einführung,
Berlin 2019.
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