Buchkritik „Die Schwärmer“ von Willi Hetze

Der SciFi-Roman „Die Schwärmer“ von Willi Hetze (Dresden, 2018) ist der Erstlings-Roman des Autors. Er ist witzigerweise „Gewidmet dem Höchstbietenden“. Der Roman spielt in einer alternativen Welt, die aber nah verwandt ist mit unserer Gegenwart. Die Geschichte beginnt in der Provinz. Hier lebt in der Kleinstadt Moorstedt der Hauptprotagonist Teo mit seinem Bruder Konrad, seinen Eltern und seiner Großmutter. Teo ist Postbote in Moorstedt. Doch eines Tages bleiben die Brief-Lieferungen aus der Hauptstadt Sybaris aus. Teo wird zum Hauptpostamt in Sybaris 6 geschickt, um herauszufinden, was da los ist. Doch aus Sybaris 6 ist inzwischen Sybaris 7 geworden. Die Stadt erneuert sich beständig selbst und wandert weiter, d.h. ihr Zentrum verschiebt sich. Die neue Stadt wurde auf die alte gesetzt, so dass im Untergrund das alte Sybaris weiter besteht. Die wichtigste Änderung ist aber das fast alle Bewohner*innen von Sybaris einen Funknerv besitzen. Damit sind sie zum Teil des Schwarms geworden, der in einer Art von Telepathie die beständige Kommunikation aller seiner Mitglieder, der titelgebenden „Schwärmer“, ermöglicht. Ausnahme sind ein paar Analoge, die sich verweigern. Wegen des neuen Kommunikationswegs sind auch die Postlieferungen in die Provinz ausgefallen. Es wurde dem abgelegenen Moorstedt lediglich vergessen mitzuteilen. Telegramme und Briefe sind überflüssig geworden, während Pakete per Lieferdrohne gebracht werden. Der Funknerv hat auch den Lebensstil der Hauptstädter massiv verändert. Eine Beliebigkeit und ein ständiger Wechsel hat Einzug gehalten. Fast alle Bewohner*innen führen eine Art von Nomaden-Leben, Sybaris ist „eine Stadt aus Hotels“ geworden. Persönliche Namen verlieren ihre Bedeutung, jede*r wird nach ihrem/seinem Beruf genannt, z.B. „der Ingenieur“, „die Reporterin“ und Teo wird zum „Sucher“ getauft. Teo ist von diesen Zuständen überfordert und trotzdem neugierig. Er lässt sich trotz der Skepsis den Funknerven einpflanzen. Schnell merkt er dass das Kommunikationsorgan auch Nachteile hat. So sind Panik und seltsame Albträume im Schwarm verbreitet. Dann ist da noch ein unbekannter Aggressor, dessen Truppen ins Land eingefallen sind. Gerade in die Provinz, in die Teo zurückkehrt. Wird der Krieg auch Teo und das beschauliche Moorstedt erreichen? Der Autor hat eine gute SciFi-Kost vorgelegt, die ebenso als Anspielung auf die technische Postmoderne wie auf die Globalisierung verstanden werden kann. Mit Moorstedt und Sybaris 7 stellt Hetze technisierte Urbanität und nachhinkende Ruralität gegenüber. Einige der Neuerungen in „Die Schwärmer“ deuten sich in unserer Gegenwart schon an, etwa die selbstfahrenden Autos oder die Bargeldabschaffung. Teo wirkt bei seinem Besuch in Sybaris 7 wie ein Amish-Junge beim Rituals des „Herumspringers“. Der Autor hat, anders als viele andere Schriftsteller*innen, auch nicht vergessen Gerüche in seinem Buch einzuarbeiten. Diese verbinden sich mit seiner poetischen Sprache zu einer dichten Athmosphäre. Hier ein paar Beispiele:
„Als ehemalige Amtsperson hatte sie sich eine Sprechweise angeeignet, die für diese Provinz unüblich war, bei der die Worte manchmal klangen, als seien sie gespalten vom Hackblock gefallen.“
(Seite 52)
„Inzwischen löffelt die Müdigkeit von der langen Reise die Welt aus seinem Kopf.“
(Seite 79)
„Wie ein mütterlicher Arm wiegt der Wein seinen Kopf.“
(Seite 102)
„Mächtig ist der Augenblick, und was geschehen ist, was geschehen wird, strömt zusammen in einem fraglosen Jetzt.“
(Seite 104)
„Der Winter knisterte nachts schon übers Land, besah sich seine künftigen Besitztümer.“
(Seite 255)
„Ein Stück der Straße war fort, abgebissen, dickliche Pfützen wie Wutspeichel, Laub und Geist schwammen darin, Steinstreu wie ausgebrochene Zähne.“
(Seite 276)
„Der Tag schlich in grauem Mantel vorüber, als wollte er nicht erkannt werden. Den Wolkenhut hatte er sich tief ins Gesicht gezogen.“
(Seite 303) Stellenweise malt er geradezu poetische Landschaftsbilder im Kopf der/des Leser*in:
„Die Nächte tauchten Zweige und Gräser in Frostmilch, und Reif gerann darauf. In den Spurrinnen der Wege versammelten sich Blätter, zart und vereist. Erst in der Sonne des auftreibenden Tages taute die Landschaft, die in schlammweichen Hügeln aufschmolz; gelbsüchtig siechten die Herbstwälder nit zersausten Kronen, der Kaltwind riss ihnen das Laub aus den Köpfen. Die Haine zerfielen, aussätzige Pappelkolonien, Eichen, Ahornbäume, Kastanien in Schüttelfrost und Winterangst. Durch die Wälder strichen die jungen Fuchsrüden, die das Revier der Eltern verlassen hatten.“
(Seite 241) Leider wird der Clou der Geschichte, nämlich die Herkunft der unbekannten Angreifer, schon sehr früh ersichtlich. Das nimmt dem Roman ein wenig die Spannung. Trotzdem ein guter SciFi-Roman, der besonders durch seine Sprache hervorsticht. Willi Hetze: Die Schwärmer, Dresden 2018.

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