Hörbuchkritik „Becoming“ von Michelle Obama


Leihweise bekam ich das deutsche Hörbuch der Autobiografie „Becoming. Meine Geschichte“ von Michelle Obama und habe mir die 37 Stunden angehört, in der Michelle Obama, gelesen von Katrin Fröhlich, ihr Leben bis zum Ende der Präsidentschaft ihres Mannes schildert.

Prominenten-Autobiografien sind generell heikel, weil sie fast immer dazu dienen sollen, den eigenen Ruhm zu mehren und dazu neigen dunkle Kapitel in der eigenen Vita zu verschweigen oder zu beschönigen.
Trotzdem können diese literarischen Selbst-Porträts auch sehr aufschlussreich sein. Michelle Obama war nicht immer prominent und erfolgreich.
Sie wurde in eine schwarze Mittelschichts-Familie in einem Arbeiterviertel am Rande des Niedergangs in der Southside von Chikago hinein geboren. Für Serien-Fans: in der Southside ist auch die Serie „Shamless“ angesiedelt.
In ihrer Jugend erfährt ihr Viertel eine Bevölkerungsveränderung. Die Reicheren ziehen weg, die Ärmeren bleiben zurück. Vor allem die weißen Familien zogen in Scharen in die Vorstädte („White Flight“). Es kommt zu einer Trennung nach Hautfarbe und Einkommen und jedes Jahr nach den Ferien ist die Schule des Viertels, die sie besucht, im Schnitt etwas schwärzer und ärmer. Immobilienmakler machen die Runde. Die Autorin schreibt: „Sie verwendeten das Wort vor dem alle die größte Angst haben: Ghetto! Und sie ließen es fallen wie ein brennendes Streichholz.“
Durch den hohen Bildungsethos ihrer Eltern, die in die Bildung ihrer Kinder investieren, statt in Wohneigentum, gelingt der begabten und ehrgeizigen Michelle über Bildung der Aufstieg.
Rührend ist es, wie dankbar sie ihrer Mutter und ihrem schwer behinderten Vater ist, die ihr das alles ermöglichten.
Sie kommt an die Eliteuniversität Princeton und wird hier erstmals als Angehörige einer Minderheit auf einem mehrheitlich weißen Campus mit massiven Fremdheitsgefühle konfrontiert.
Sie engagiert sich auch erstmals politisch und zwar in der „Organisation for Black Unity“. Im ganzen Buch bewirbt sie Bildung als Mittel zum Aufstieg, besonders für ausgegrenzte Minderheiten.
Nach ihrem Jura-Abschluss arbeitet sie in einer renommierten Kanzlei und trifft hier 1989 auf ihren späteren Mann, Barack Obama. Zu diesem Zeitpunkt ist sie als Baracks Mentorin in der Kanzlei seine Vorgesetzte. Barack hatte bis dahin als „community organizer“ gearbeitet, nachdem er in Havard studiert hatte.
Er ist ein Idealist und Büchernarr aus Hawaii: „Sein Geld steckte er in Bücher, die schon fast sakrale Werke für ihn waren.“ 
Sie werden ein Paar und heiraten. Baracks politische Karriere als Senator beginnt, während sie weiterhin als Anwältin arbeitet. Sie bekommen Kinder und schließlich bewirbt sich Barack als US-Präsidentschaftskandidat bei den Demokraten.
Anschaulich beschreibt Michelle ihre Dreifachbelastung als Anwältin, Mutter und Politiker-Gattin. Ihr selbst bleibt die Politik eher fremd. Ihr zufolge werden „Frauen auf dem Planet Politik“ angefeindet, etwa als „Schreckschraube“ oder „Hyäne“. Obwohl sie nicht kandidiert, zielt ein Teil der Schmutzkampagne gegen ihren Mann immer wieder auch auf sie.
In ihrer Autobiografie berichtet sie aber auch von der Kampagne der so genannten „Birther“-Verschwörungsideolog*innen gegen Obama, der als Krypto-Muslim und unamerikanisch dargestellt wird.

Michelle Obama ist unzweifelhaft ein kluger, reflektierter und einfühlsamer Mensch. Allerdings sind sie und ihr Mann auch das freundliche und nette Gesicht einer Weltmacht, deren Geheimdienste ohne Hemmung alle bespitzelten, deren Drohnen viele Zivilist*innen töteten und deren Armee sich im ständigen Auslandsandseinsatz befinden. Auch unter Barrack Obama wurde beispielsweise, entgegen eines Versprechens von ihm, Guantanamo nicht aufgelöst oder der Zaun an der Grenze von Mexiko verstärkt.
Kritische Worte zu ihrem Mann sucht man in der Autobiografie von Michelle Obama vergebens. Sowohl privat, wie auch politisch wird nichts kritisiert. Fast schon kitschig ist Barrack Obama in ihrer Biografie ein Mr. Perfect mit einem „pragmatischen Irgendwer-muss-es-ja-machen-Optimismus“ . Es wird zwar beschrieben, wie der große Hauptteil der carearbeit bei Michelle verbleibt, während Barrack Politik macht, aber ihm wird es nie vorgeworfen.
Doch auch Michelle Obama schafft die ganze Arbeit nicht allein. In zwei, drei Sätzen wird plötzlich eine philippinische Kinderfrau erwähnt, an die offenbar ein Teil der Arbeit delegiert wird.   
Ein wenig stört auch der stellenweise etwas gezwungen wirkende Patriotismus von Michelle Obama. Allerdings ist dieser im Gegensatz zum Nationalismus von Trump sicherlich inklusiver.

Die Aufsteiger-Story von Michelle Obama ist trotz der fehlenden Kritik an ihrem Mann trotz allem sehr lesens- bzw. hörenswert. Besonders spannend ist es zu erfahren, wie Rassismus eine große Rolle auch für sie als Mitglied aus einer Aufsteiger-Familie spielte. Wie schwarze Männer ihrer Eltern-Generation etwa bei der Jobvergabe klein gehalten wurden.
Eine fundamentale Analyse von Rassismus und den mit ihm verwebten Kapitalismus findet sich trotz der kritischen Töne in der Biografie nicht. Das wäre aber bei einer ehemaligen First Lady auch sehr verwunderlich gewesen.


Michelle Obama: Becoming. Meine Geschichte 

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