Buchkritik „Die Gabe“ von Naomi Alderman
Die
Schriftstellerin Naomi Alderman aus London hat 2016 mit ihrem
dystopischen Roman „Die Gabe“ ein Buch vorgelegt, in dem die
Geschlechterverhältnisse umgekehrt werden.
Etwa
in unserer Zeit entdecken 13-14jährige Mädchen mit der Pubertät
das sie „die Gabe“ oder „die Kraft“ in sich tragen.
Sie können
kontrollierte elektrostatische Stöße durch die Hände abgeben, die
sogar den Tod verursachen können. Durch „die Gabe“ wird das
vorgeblich ‚schwache‘, in Wahrheit aber schwach gemachte,
Geschlecht plötzlich das stärkere Geschlecht.
Diese Fähigkeit
erstreckt sich nicht nur auf jüngere Frauen, sondern kann von diesen
auch in älteren Frauen erweckt werden.
Die Theorien über
Ursprung und Ursache sind unterschiedlich. Im Roman abgebildete
historische Artefakte deuten darauf an dass „die Gabe“ schon seit
Jahrtausenden in Frauen schlummerte. Anderen Theorien zufolge hat
sich die Fähigkeit durch den Einsatz des Anti-Gifts
„Guardian Angel“ im Zweiten Weltkrieg, was das weiblich Erbgut
verändert hat, herausgebildet
Wird „die Gabe“
anfangs als Krankheit verhandelt, so ist sie irgendwann im Verlauf
der Geschichte, die sich über zehn Jahre erstreckt, normal geworden.
Die Machtverhältnisse
ändern sich und es entstehen z.B. Mädchengangs oder Frauen und
Mädchen werden zum Vorbild für Härte:
„Seltsame
Bewegungen entstehen, nicht nur irgendwo auf der Welt, sondern direkt
hier in den Vereinigten Staaten. Im Internet ist alles dokumentiert.
Jungen, die sich wie Mädchen kleiden, um härter zu erscheinen.
Mädchen, die sich als Jungen kleiden, um allem zu entgehen, was
automatisch mit der Kraft assoziiert wird.“
(Seite 97-98)
Der Roman beinhaltet
die Handlungsstränge von vier verschiedenen Personen, die sich auf
einander zu bewegen:
Das ist zum einem der
junge Mann Olatunde Edo, genannt „Tunde“. Tunde ist
College-Student im nigerianischen Lagos und wird eher zufällig ein
Journalist, der die weltweiten Veränderungen mit seiner Kamera fest
hält.
Da ist Margot Cleary,
zuerst Bürgermeisterin und später Senatorin in New England. In ihr
wird die Gabe durch ihre Tochter Jocelyn, genannt „Jos“, geweckt.
Sie hält ihre neue Fähigkeit aber lange geheim, um keine Nachteile
in ihrer politischen Laufbahn zu haben.
Dann ist da noch Roxy
Monke, genannt „Roxy“ aus London. Roxys Gabe, die sehr
stark ist, wird geweckt als sie als 15jährige mit ansehen muss, wie
ihre Mutter ermordet wird.
Als Tochter eines
Gangsterbosses nimmt sie Rache und wird erfolgreiche Schmugglerin
einer neuen Droge, die „die Gabe“ verstärkt.
Zuletzt ist da noch
Allie in den USA, die von ihrem Pflegevater missbraucht wird, sich
wehrt und ihn mit der Gabe tötet. Sie flieht vor möglichen
Konsequenzen und baut aus Ausreißerinnen einen Kult auf. Sie nennt
sich fortan „Mother Eve“ und errichtet eine weltweit aktive
matriarchale Sekte.
Die neue Macht der
Frauen verändert weltweit die Verhältnisse. Es kommt zu Unruhen in
Indien, in Saudi-Arabien wird der König verjagt und in Moldawien
revoltieren Zwangsprostituierte und errichten ein Matriarchat. Es
entsteht im Süden des Landes mit „Bessapara“
eine Republik der Frauen. Allerdings versucht das männlich
dominierte Nordmoldawien den Süden mit Hilfe des saudischen Königs
im Exil zurückzuerobern.
In Bessapara
verschärfen sich die Gesetze für Männer drastisch und es werden
spiegelbildliche Bestimmungen eingeführt, wie sie heute im realen
Saudi-Arabien für Frauen gelten, z.B. das Autofahrverbot.
Auch anderswo begehren
Männer auf und organisieren sich in Männerbewegungen
und sogar in Männerterroristengrueppen.
Im Roman wird an einer
Stelle auch der frauenfeindliche Chatverlauf abgebildet und erinnert
sehr an die real existierenden Maskulinisten.
Die Grundaussage des Romans lautet letztendlich, dass auch eine Frauenherrschaft nicht besser sein muss. Macht korrumpiert alle, auch Frauen. Das Problem ist offenbar die Macht an sich. Auch wenn die Vorstellung dass die saudische Geschlechter-Apartheid durch eine Frauen-Revolution gestürzt wird, etwas sehr beglückendes hat.
Der gesamte Roman kann gleichzeitig auch als Metapher auf das weltweite Patriarchat gelesen werden. Die in einem Flüchtlingscamp in Moldawien begangenen Gräueltaten von Frauen an Männern finden ja tagtäglich anders herum im Süd-Sudan oder Ost-Kongo tatsächlich so statt. Neben einer direkten Unterdrückung von Männern und sexualisierter Gewalt von Frauen gegen Männern, werden auch andere Formen von Sexismus dargestellt. Etwa, wenn sich eine weibliche Kollegin von Tunde dessen Arbeit aneignet. So hält die Autorin dem männlichen Leser auch den Spiegel vor.
Am Ende des Romans wird nochmal stark an der Eskalationsschraube gedreht, was ein wenig zu Lasten der Glaubwürdigkeit geht.
Dagegen ist das Nachspiel genial, was suggeriert das der Roman „Die Gabe“ von einem Mann unter weiblichen Pseudonym in einer matriarchalen Welt geschrieben wurde.
Das Buch steht in der Tradition des Romans „Die Töchter Egalias“ von Gerd Brantenberg, von dem es vermutlich zum Teil inspiriert wurde. „Die Gabe“ liest sich aber um einiges besser als „Die Töchter Egalias“.
Großer Lesetipp für alle Geschlechter!
Naomi
Alderman: Die Gabe, München 3. Auflage 2018.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen