Buchkritik „Oder Florida“ von Christian Bangel

Der 2017 erschienene Erstlingsroman „Oder Florida“ von Christian Bangel dürfte einige biografische Aspekte des Verfassers enthalten. Bangel wurde 1979 in Frankfurt/Oder geboren und ist in der Grenzstadt aufgewachsen. Auch sein Hauptprotagonist Matthias Freier lebt in Frankfurt/Oder. Das Buch spielt im Jahr 1998 und Freier ist ein 20 Jahre alter Selfmade-Journalist. Er arbeitet für das wöchentlich erscheinende Stadtmagazin „0335“ und die Werbeagentur seines Chefs Fliege. Der ist ein Ex-Autonomer und Ex-Hausbesetzer, der es durch seine Kreativität geschafft hat, sich eine Existenz aufzubauen. Sein neuestes Projekt ist die Unterwanderung der Stadt-SPD, um einen eigenen Bürgermeister-Kandidaten zu installieren. Freier soll dabei als sein Pressesprecher der Wahlkampagne fungieren. Doch dieser Kandidat, Günther Franziskus, entpuppt sich als harter Neoliberaler, der selbst Gerhard Schröder für einen Kommunisten hält. Fliege setzt dagegen eher auf Linkspopulismus und veranstaltet Demos für besseres Wetter, zu der immer mehr Unzufriedene strömen. Ähnlich wie schlechtes Wetter werden am Anfang des Buches noch die gewalttätigen Rechten in der Oderstadt von Freier beschrieben:
„Klar, es war immer scheiße gewesen mit den Nazis. Mich hatten sie schon sechs- oder siebenmal aufgeklatscht. Aber bis vor ein paar Monaten konnte man sich auf sie einstellen, zumindest ein bisschen. Meist waren es besoffene Muskelaffen, die nachts in großen Trupps durch die Straßen zogen. Man musste immer bereit sein zu rennen, und nach Neuberensinchen, wo sie auf den Innenhöfen zwischen den Hochhäusern rumhingen, ging man halt nicht.“
(Seite 24) Doch die Rechten haben einen neuen Anführer, der sich „Gramschi“, und der geht strategisch vor. Es wird immer gefährlicher, auch wenn Fliege gegenüber Freier abwiegelt:
„»Irgendwann bringen die einen von uns um.« »Quatsch«, sagte Fliege, »in zwanzig Jahren gibt’s hier keine Glatzen mehr. Die werden Familien gegründet haben und sich um ihre Glotze und ihre Karre kümmern. Spießer werden das sein. Ganz normale fette, hässliche Deutsche.«“
(Seite 66) Freiers Motivation für seine Arbeit als Pressesprecher von Franziskus ist die Hoffnung das dieser das Neonazi-Problem angeht. Franziskus ist immerhin auch 89er-Veteran und nachdem der aktuelle SPD-Bürgermeister als Stasi-Spitzel enttarnt wird, steigen die Chancen von Franziskus auf das Amt. Der Bürgermeister tritt aus der SPD aus, Franziskus wird der neue Spitzenkandidat der Partei. Doch der aktuelle Bürgermeister kandidiert trotzdem und setzt auf das Thema Grenzkriminalität und die Hetze gegen Polen. Der Unternehmer Franziskus dagegen preist die Leistungsgesellschaft und die Segnungen der Marktwirtschaft und fordert die Frankfurter*innen zu mehr Fleiß und weniger Murren auf. Das kommt bei den Wähler*innen natürlich nicht sonderlich gut an. Der Roman beinhaltet auch eine Liebesgeschichte. Denn Nadja, die ehemalige Freundin von Freier, musste mit ihren Eltern in den Westen mit ziehen. Freier vermisst sie, schafft es aber nicht den Kontakt aufrecht zu erhalten. Doch plötzlich ist sie wieder da und schleppt Freier mit nach Berlin, damit er mal aus Frankfurt/Oder und seinen tristen Plattenbauten heraus kommt. Doch Berlin („eine Baustelle als Stadt“) und Nadjas Spontanität überfordern Freier. Sowieso hat die Stadt keinen guten Ruf bei ihm und seiner Familie:
„Was immer alle in Berlin wollten. Für meine Familie war Berlin die Stadt der Arschlöcher gewesen. Schon zu Ostzeiten rief meine Mutter immer »Arschloch«, wenn ein Berliner Auto vorbeifuhr. Berliner waren Schnösel und Proleten, Angeber und Nichtskönner, Fahrkartenkontrolleure und Verbrecher. Und alle waren sie unfassbar großmäulig.“
(Seite 158) Schließlich kehrt er nach einem Wochenende in Berlin zurück nach Frankfurt/Oder. Auf der Rückfahrt wird er durch Rechte im Zug traumatisiert, die ihn bedrohen und zeigen das sie am längeren Hebel sitzen. Obwohl er den Westen nicht mag, geht er auf Vermittlung von Franziskus als Lehrling schließlich in den Westen. Hier soll er in einem Zoogeschäft das Wichtigste lernen, um schließlich in Florida im Auftrag von Franziskus eine eigene Filiale zu eröffnen. Diese soll eine Art Ausbildungsstätte in Sachen Kapitalismus für Ossis sein. Wenn Freier das gelingt, soll er von Franziskus eine Prämie von 100.000 DM (50.000 Euro) erhalten. Doch Freier ist von seiner Ausbildung angestrengt und wird von seinen Vorgesetzten und Mitbewohnern, westdeutschen Linken, als Udo bezeichnet. Er findet schließlich heraus das Udo für „Unser dummer Ossi“ steht. Der Roman von Christian Bangel ist auch ein Wenderoman und beinhaltet die Geschichte der vielen unterbrochenen Ost-Biografien. Der Vater von Freier ist ständig auf Montage im Westen und die Mutter arbeitet in einer Umfrage-Agentur. Die Frage 'Bleiben oder gehen?' wird ständig angeschnitten. Bleiben in der vertrauten Stadt oder dem Job hinterher ziehen und weg von den Neonazi-Angriffen? Die so genannte „Wiedervereinigung“, die im Osten eher als „Wende“ bezeichnet wurde, wird kritisch thematisiert:
„Aber was in den Archiven und auch sonst kaum vorkommt, ist, wie beschissen es danach wurde. Es war wie in einem Hollywoodfilm: Niemand will etwas über die Zeit nach der Kussszene wissen. Die Geschichte der zwei Länder, die sich friedlich wiedervereinten, war einfach zu gut, um sie zu versauen.“
(Seite 158) Doch der Autor schildert keine Ostalgie und eine Szene am Buchende bei einer Mitfahrt von Freier in einem Auto mit einem schimpfenden Ossi, zeigt das auch diese Haltung kritisch gesehen wird. Ein sehr lesenswertes Buch! Christian Bangel: Oder Florida, München 2017.

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