Buchkritik „Americanah“ von Chimanda Ngozi Adichie

Der Roman „Americanah“ von Chimanda Ngozi Adichie spielt vor allem an zwei Orten: In Nigeria und in den Vereinigten Staaten. Im ersten Teil beschreibt der Roman das Aufwachsen der Hauptprotagonistin Ifemelu und ihrer Familie in der nigerianischen Hauptstadt Lagos. Ihre Probleme als Mittelschichtskind an einer Oberschichtsschule sind Thema. Oder wie sie Obinze, einen Professorinsohn, kennen lernt und mit ihm zusammen kommt und aus einer Teenager-Beziehung nach und nach eine erwachsene Beziehung wird:
„Ihr gefiel, dass er ihre Beziehung so mutig zu Schau stellte wie ein knallbuntes Hemd. Manchmal sorgte sie sich, dass sie zu glücklich war. Dann verdüsterte sich ihre Stimmung, und sie fuhr Obinze an oder verhielt sich distanziert. Und ihre Freude wurde zu einem ruhelosen Ding, das in ihr mit den Flügeln schlug, als suchte es nach einer Öffnung, um fortzufliegen.
“ (Seite 86) Der/dem Leser/in wird klar das Nigeria eine junge und lebendige Gesellschaft ist, die im Verlauf des Romans auch schon mal von einem Putsch erschüttert wird und ansonsten von einer korrupten Regierung oder Regime regiert wird. Auch der große Einfluss der Evangelikalen im südlichen Nigeria spielt in der Geschichte eine Rolle. Der zweite Teil des Romans spielt in den USA. Diese sind in Nigeria eine Art Sehnsuchtsort vieler und Ifemelu schafft es dieses Traumland zu betreten. Doch das Traumland ist kein Traumland und wie viele andere ärmere Einwanderer fällt es Ifemelu schwer sich finanziell über Wasser zu halten. Außerdem erlebt sie eine Art Kulturschock. Sie wird mit dem Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft und mit Afrika-Klischees konfrontiert. In Reaktion darauf versucht sie sich anzupassen. Beispielsweise im Dialekt:
„Erst nachdem sie aufgelegt hatte, spürte sie, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg, weil sie ihm gedankt, aus seinen Worten »Sie klingen amerikanisch« eine Girlande gemacht hatte, die sie sich um den Hals hängte.“
(Seite 224-225) Die Protagonistin sagt selbst, das sie erst in den USA zu einer Schwarzen (gemacht) wurde:
„Die Blicke ritzten ihre Haut.“
(Seite 370) Sie beginnt zum Thema Rassismus aus der Sicht einer nichtamerikanischen Schwarzen zu bloggen. Damit einher geht eine Selbstakzeptanz, z.B. in Bezug auf ihren Dialekt oder ihre Haare. Ihr Blog wird wahrgenommen und populär, so dass sie schließlich sogar davon leben kann – eine reale Möglichkeit, die in den USA sehr viel stärker verbreitet ist als in Deutschland. Sogar ein Stipendium in Princeton verschaffen ihr diese Schreibaktivitäten. Ein wichtiges Thema im Blog und im Buch sind Haare. Das Buch beginnt auch in einem afrikanischen Haarsalon in den USA. Das Glätten und Entkrausen schwarzer Haare, um, um an ein weißes Ideal heranzureichen wird geschildert und kritisiert. In der Ferne kommt es zum Bruch der Beziehung von Obinze und Ifemelu. Ifemelu hat andere Beziehungen, u.a. mit dem afroamerikanischen Dozenten Blaine mit dem sie einen heute nicht mehr ganz nachvollziehbaren Obama-Hype teilt. Manchmal ist der im Buch dargestellte Unterschied zwischen Ifemelu als offline eher unpolitischer Person und online als politische Bloggerin etwas seltsam bis unglaubhaft. Auch ihre Entwicklung zur politischen, antirassistischen Bloggerin wirkt etwas sprunghaft. Man hat das Gefühl da fehlen noch ein oder zwei Bausteine in der Geschichte. Ein kleinerer Teil des Buches beschreibt den Werdegang von Obinze in Großbritannien als illegaler Einwanderer. Sein Leben dort ist stark von seinem Aufenthaltsstatus geprägt.
„»Ja«, sagte Obinze, doch dieses Ja erzählte seine Geschichte nicht: dass er zwar in London lebte, aber unsichtbar war, eine Existenz wie ein ausradierter Bleichstiftstrich führte, jedes Mal, wenn er einen Polizisten sah oder irgendjemanden in Uniform, irgendjemanden, der auch nur entfernt nach Obrigkeit roch, gegen den Drang kämpfte davonzulaufen.“
(Seite 326-27) Dabei ist Obinze kein Flüchtling, sondern ein Einwanderer mit eigennützigen Motiven, der im Weltbild liberaler Briten so nicht vorkommt:
„Alexa und die anderen Gäste und vielleicht sogar Georgina verstanden, dass man vor einem Krieg flüchtete, vor der Art Armut, die menschliche Seelen zerdrückte, aber sie würden das Bedürfnis, der bedrückenden Lethargie der Chancenlosigkeit zu entkommen, nie begreifen. Sie verstanden nicht, warum Menschen wie er, die gutgenährt und ohne Durst, aber eingemauert in Unzufriedenheit aufgewachsen waren, die von Geburt an dazu konditioniert waren, auf andere Orte zu blicken, und felsenfest davon überzeugt waren, dass das wahre Leben an diesen anderen Orten stattfand, dass diese Menschen jetzt entschlossen waren, gefährliche Dinge zu tun, illegale Dinge, um zu entkommen. Keiner von ihnen war unterernährt oder ein Vergewaltigungsopfer oder stammte aus einem niedergebrannten Dorf, sie waren einfach nur ausgehungert nach Wahlmöglichkeitem und Sicherheit.“
(Seite 349) Der letzte Teil spielt dann wieder in Nigeria. Als „Americanah“ werden die Rückkehrer*innen aus den USA nach Nigeria bezeichnet. Ihr Ex-Freund Obinze ist ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden, während sie Mühe hat wieder Fuß zu fassen. Sie nimmt Kontakt zu ihm auf und sie beginnen eine Affäre, obwohl er ein verheirateter Mann mit einer Tochter ist. Etwas schade ist dass die Autorin Obinzes Frau keinen Charakter zugesteht, sondern sie nur aus Ifemelus Perspektive beschreibt. Sätze wie „Sie war eine gutgepflegte Zimmerpflanze.“ (Seite 578) sind nicht gerade besonders feministisch. Trotzdem ist es ein gutes Buch, sowohl literarisch als auch von der politischen Botschaft. Durch die Lektüre bzw. den Perspektivenwechsel können viele noch etwas mehr über Rassismus lernen. Lesen! Chimanda Ngozi Adichie: Americanah, Frankfurt/Main, 2. Auflage 2015.

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