Buchkritik „Rebellen“ von Wolfgang Schorlau

Wolfgang Schorlaus 2013 erschienener Roman „Rebellen“ ist ein Roman über die erste Nachkriegsgeneration in Westdeutschland, die aufbegehrt gegen die Alten. Er spielt aber nicht in Westberlin oder Frankfurt, sondern im südwestdeutschen Freiburg. Es gibt zwei Hauptprotagonisten im Buch, zu denen sich im Verlauf weitere hinzugesellen. Erst einmal geht es aber um Paul und Alexander. Alexander ist der Sohn aus einer großbürgerlichen Familie, die hinter der Fassade von Etikette und Glauben erkaltet ist. Ironischerweise liegt neben seinem Familiensitz ein Waisenhaus. In dem wohnt Paul, ein Heimkind und Hauptschüler. Irgendwann wurde Paul einmal von seiner Mutter hier abgegeben. Er lebt hier in armen Verhältnissen:
„Der Stoff der Hose war an den Oberschenkeln und an einem Knie abgeschabt und sendete so beunruhigende Warnsignale der Armut aus.“
(Seite 63) Außerdem muss Paul die Quälereien eines Älteren ertragen, bis er sich wehrt. Die beiden sind etwa Jahrgang 1950 und wachsen in den 1960ern auf. Beide kommen auf ihre Weise aus zerrütteten Verhältnissen. So wachsen sie denn zusammen auf und der Autor beschreibt anschaulich den vorherrschenden Antikommunismus und die Teenager-Notgeilheit bei den Heranwachsenden. Doch dann hält die Rebellion auch in der Provinz Einzug. Es kommt in Freiburg zu Demonstrationen von Lehrlingen und Schüler*innen („Pennälern“) gegen eine Fahrpreiserhöhung. Paul und Alexander politisieren sich. Irgendwann taucht auch Toni auf, eine Psychologie-Studentin aus ärmlichen, stockkatholischen Verhältnissen. Auch sie ist ihrer Herkunft entflohen. Paul und Alexander konkurrieren um sie. Paul ist durch den Proletarier-Kult in der Neuen Linken im Vorteil, denn er ist ein Lehrling, also ein ‚echter‘ Arbeiter und damit der Rohstoff für die Revolution:
„An der Uni konkurrierten Dutzende Gruppen um die richtige revolutionäre Linie miteinander, vor der Mensa musste ich jeden Mittag durch ein Spalier von Flugblattverteilern marschieren, bevor ich etwas zu essen bekam. Alle droschen aufeinander ein. Mir kamen sie vor wie religiöse Eiferer, die von sich behaupteten, ihr Gott sei der einzig wahre und der Gott aller anderen Religionen nur eine Erfindung. Umstritten war, wer die richtige proletarische Linie verfolgte, einig waren sie sich alle, dass die revolutionäre Arbeiterklasse irgendwie Veränderung und bessere Zukunft bedeutete, aber noch keiner meiner Kommilitonen hatte je ein solches Wunderwesen aus der revolutionären Arbeiterklasse gesehen.“
(Seite 224) Dass das ehemalige Heimkind Paul gegenüber den Großbürgersohn einmal im Vorteil ist, verwundert ihn selbst. Trotzdem kostet er das Interesse von Frauen aus und so erlebt Paul seine persönliche sexuelle Revolution. Das Gute bei Schorlau ist dass er Toni eine eigene Stimme und eine eigene Perspektive gibt. Sie hat eigene Pläne und aus ihrer Perspektive kritisiert er auch die schwadronierenden linken Männer auf den Podien. Aus ihrer Sicht wird ebenso kritisiert, wie die antiautoritäre Revolte ins Autoritäre kippt. Sicher unter dem Zutun eines repressiven Staates:
„Jetzt wurde geknüppelt. Die Polizisten aus Göppingen, selbst kaum älter als die Jugendlichen auf der Straße, prügelten auf alles ein, was sich bewegte, Demonstranten, Fußgänger, Einkaufende.“
(Seite 175)
„Reintraud, die bei zwei Gelegenheiten neben mir saß, machte dann immer Witze. [...] Sie zogen sie dann sofort aus dem Auto, Hände aufs Dach, Beine auseinander, diese Nummer. Es war kein Spaß. Die Staatsmacht zeigte ihre Instrumente. Einer ganzen Generation. Uns.“
(Seite 277) Paul und Alexander werden Maoisten. Ihre Gruppe, der „Kommunistische Bund Westdeutschland“, ist auf strikten Revolutionskurs und verfügt dass Autos der Marke Saab von ihren Mitgliedern angeschafft werden sollen, weil auf einem Saab besser MGs befestigt werden können. Doch dann stirbt der Vater von Alexander und der Revolutionär erbt eine Fabrik, die auf den Ruin zusteuert. Schnell merkt Alexander das seine K-Gruppen-Erfahrung ihm auch im autoritären Kapitalismus zugute kommen können. So wird aus dem Revolutionär Alexander ein Fabrikant, Rotarier und Porschefahrer. Noch immer konkurriert er – ohne es zu wissen – mit Paul um die Zuneigung von Toni, die mit Paul eine Affäre hat. Das Buch beinhaltet auch einen Schuss Erotik, aber dankenswerter Weise ohne die so oft bei Autoren diesen Alters anzutreffende Altmännergeilheit, die sich meist ausnimmt wie ein Mainstream-Porno als Hörbuchversion. Lesenswert für diejenigen, die wissen wollen, wie ‚das‘ damals war. Im Nachwort schreibt Schorlau selbst: „Manchmal ist es notwendig, etwas Spezifisches zu erzählen, um etwas Allgemeines auszudrücken.“ (Seite 334) Wolfgang Schorlau: Rebellen, Köln 2. Auflage 2014.

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