Buchkritik „Schule der Arbeitslosen“ von Joachim Zelter

Joachim Zelter hat mit „Schule der Arbeitslosen“ 2006 einen dystopischen Roman verfasst, der sich inzwischen mit der Wirklichkeit vermischt hat. In seinem Roman ist die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik eskaliert und rangiert irgendwo zwischen sechs und zehn Millionen. Offizielle Zahlen werden nicht mehr veröffentlicht. Der staatliche Umgang mit Arbeitslosen ist zum offenen Armutsverwaltungsregime mutiert. Speziell ausgewählte Arbeitslose werden in Trainingscamps, „Schulen“, geschickt und werden dort für die Arbeitssuche trainiert. Eine dieser „Schulen“ heißt „Sphericon“ und Zelter beschreibt die Schüler*innen und ihren „Schulalltag“, besonders den von Roland Bergmann und Karla Meier. „Sphericon“ ist eine Mischung aus Managerseminar, Grundwehrdienst, Bootcamp, Scientology und Kadettenschule. Die Hausordnung umfasst 100 Seiten. Die 150 Trainer und Trainees tragen Uniformen und das Gelände ist im Nirgendwo, so dass eine Kasernierung und Isolierung stattfindet. Die Trainer sind eine Mischung aus Unteroffizieren und Animateuren. Ein Schultag geht von 6.15 Uhr bis 23 Uhr. Freizeit ist nicht angedacht. Gibt es sie doch, so wird man durch die TV-Serie und das PC-Game „Job Quest“ indoktriniert. Alles in dieser Erziehungsanstalt zielt auf Selbstoptimierung ab und jeder kämpft gegen jede. Womit auch klar ist, der Zustand der Arbeitslosigkeit wird dem/der Arbeitslosen angelastet und nicht den herrschenden Zuständen bzw. dem System. Hier trifft die Fiktion Zelters auf die Wirklichkeit. Im Camp von „Sphericon“ gibt es sogar eine spezielle Währung, die u.a. an den Essensautomaten eingesetzt werden kann. Auch diese „Bonus Coins“ werden zur Disziplinierung verwendet. Der Trainer des Bewerbungsteams von Roland und Karla ist Ansgar Fest. Fest unterrichtet Fächer wie „Bewerbungstraining“ oder „Biographisches Arbeiten“. Er hält seine Trainees dazu an, ihr Leben zu bearbeiten und zum Beispiel in ihrem Lebenslauf zu lügen. Die Trainees werden z.B. auch nachts geweckt und kommen zu einem Überraschungs-Vorstellungsgespräch um auf alle Möglichkeiten vorbereitet zu werden. Zelter beschreibt in seinem Buch eine Art orwellschen Kleinstaat und spitzt das Konkurrenzprinzip des Neoliberalismus zu. Er beschreibt aber auch Dinge, die bereits heute als Ämterschikane unter der Maxime des fördern und fordern für Betroffene real erfahrbar sind. Es ist zu fürchten dass die Wirklichkeit diese Dystopie bald in großen Schritten eingeholt hat. Die Lektüre von Zelters Roman mag als Warnung dienen. Joachim Zelter: Schule der Arbeitslosen, Tübingen 5. Auflage 2017.

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