Buchkritik „Der ewige Sündenbock“ von Tilman Tarach

Das Buch „Der ewige Sündenbock“ von Tilman Tarach ist 2009 erstmals erschienen. Bis heute gab es mehrere Neuauflagen. Im Untertitel heißt es „Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt“. Es geht um Israel, israelbezogenen Antisemitismus und die weltweite Anti-Israel-Lobby. Antisemitismus wird dabei wie folgt definiert: „Beim Antisemitismus handelt es sich also um nichts weniger als um eine Massenpsychose.“ (Seite 48) Das Buch ist faktenreich und stützt sich auf über 400 Fußnoten und viele Zitate. Es ist eine Fleißarbeit und kann als Argumente-Band für die israelsolidarische Linke verstanden werden. Auch für Kenner*innen dürfte einiges Neues im Buch dabei sein. Etwa das Jaffa, Haifa und Tel Aviv durch die deutsche und italienische Luftwaffe bombardiert wurden. Oder das ehemalige Nazi-Deutsche und Ustascha-Kroaten beim Krieg 1948 gegen Israel mitmischten. Oder das der langjährige Palästinenserführer Yassir Arafat als ideologischer Ziehsohn und Schwiegersohn des Mufti betrachtet werden muss. Arafat war, wie Tarach gut nachweist, auch nie ein Revolutionär, sondern von seinen politischen Positionen her immer ein Reaktionär, der eher eine Art von Blut&Boden-Ideologie und eben keinen Internationalismus vertreten hat. Tarach erinnert ebenso an den kaum thematisierten Mord an tausenden sogenannter Kollaborateuren unter den Palästinenser*innen. Manches dürfte schon bekannter sein, auch wenn es nicht schadet bestimmte Dinge in Erinnerung zu rufen. Etwa das die UdSSR und nicht die gern als imperialistisch kritisierte USA Geburtshelfer Israels waren. Ebenso verweist er auf die Zusammenarbeit zwische PLO und CIA und nennt die palästinensischen Organisationen „Hätschelkinder“ der USA und EU. Für einen Terrorverzicht auf ihrem Territorium haben europäsiche Staaten in den 1970ern weitreichende Zugeständnisse gemacht. Tarach zeigt, das es eine weltweite, gut funktionierende Anti-Israel-Lobby gibt. Der Autor sieht eine Wesensähnlichkeit zwischen Nationalsozialismus und Islamismus, was wie Volker Weiß in „Autoritäre Revolte“ zeigt, durchaus einiges für sich hat. Ebenso sieht Tarach Übergänge von einem konservativen Islam zum Islamismus. Ob allerdings der Dschihad einfach so als 6. Säule des Islams bezeichnet werden kann, wie er das tut, bleibt fraglich. Leider kann das Buch nicht uneingeschränkt empfohlen werden. Für Menschen, die noch nicht im Thema drin sind, dürfte es stellenweise wirr und durcheinander wirken. Gerade ist man noch beim Terror-Attentat von Luxor in Ägypten, ein paar Zeilen später ist man bei der Kritik an einem konservativen Moslem-Verband in Kanada. Auch die Polemik im Buch dürfte Themen-Neulinge eher abschrecken. Zu sehr tritt der Autor als Nachwuchs-Broder auf. Sicher ist das Motiv für die Polemik – ein Verzweifeln an der Ignoranz vieler – nachvollziehbar, aber bei der Aufklärung ist sie einfach nicht hilfreich. Mit dieser Aufgeregtheit und Polemik hat sich der Autor selbst keinen Gefallen getan. Ebenso nicht hilfreich ist die Freund-Feind-Logik Tarachs, wenn es um Israels Feinde und den Islamismus geht. Wer vermeintlich gegen den Islamismus oder für Israel handelt, der kommt bei Tarach gut weg. Das kann dann auch der modernisierungswillige afghanische Monarche sein (Seite 56-57). Oder es wird kein Unterschied mehr gemacht zwischen dem Modernisierungsregime des laizistischen und nationalistischen Herrschers Atatürk in der Türkei und feministischen Aktivistinnen. Beide sind ja gegen Islamismus und konservativen Alltagsislam. Die duale Logik Tarachs wirkt auch seltsam, wenn er sie am Balkan anlegt. Es ist fragwürdig die albanischen UCK-NationalistInnen mit den Nazis zu analogisieren, aber den serbischen Nationalismus aus der Kritik zu entlassen. Tarach positioniert sich stark proserbisch und geht damit den Mythen des serbischen Nationalismus auf den Leim. Eine Analogisierung der Geschichte oder des Nahostkofliktes zum Kosovo-Konflikt, wie er sie versucht, ist auf Grund der Unterschiede reichlich abwegig. Wer über diese seltsamen Logiken und die Polemik hinweg lesen kann, die/der erweitert mit der Lektüre ihr/sein Wissen über den Nahostkonflikt und kriegt ein paar Argumente geliefert, die helfen das gängige Bild vom israelischen Goliath vs. palästinensischen David kritisch zu hinterfragen. Tilman Tarach: Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt, Freiburg/Breisgau 4. Auflage 2011

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