Buchkritik „Stierblutjahre“ von Jutta Voigt


In dem Buch „Stierblutjahre“ skizziert die Autorin Jutta Voigt „Die Boheme des Ostens“, also in der DDR. 

Unter anderem durch Zitate beispielsweise von Erich Mühsam oder Hermann Hesse zum Thema Boheme am Anfang von Kapiteln soll klar gemacht werden, was bzw. wer mit dem Boheme-Begriff gemeinst ist.  

Erinnert wird in dem Buch gleich zu Anfang auch an die Boheme der Wendezeit: 

„[...] in Hunderten stillgelegter Fabriketagen und Clubwohnungen zertanzte die Partyboheme die Engstirnigkeit der Provinz, die Spießigkeit der Eltern und die alltäglichen Forderungen des gewöhnlichen Kapitalismus: Geld verdienen, Pflicht erfüllen, Karriere machen.“ (Seite 13) 

In der DDR bildete sich eine eigene Boheme heraus, die sich vom SED-Parteistaat abgrenzte, aber auch einen eigenen Charakter entwickelte: 

„Viel vom definitorisch Allgemeinen, dass man über die Boheme weiß, trifft auch auf die Boheme des Ostens zu, eines jedoch nicht: die Verachtung des Bürgerlichen. Ganz im Gegenteil, die Sehnsucht nach dem Bürgerlichen war verbreitet, genauer nach dem Großbürgerlichen […].“ (Seite 141)  

Voigt sieht die Ostboheme vor allem in Nischen und in Privaträumen angesiedelt, aber auch in offiziellen Einrichtungen wie dem Berliner Ensemble (Brecht!) oder der Kunsthochschule Weißensee. 

Die Ostboheme hatte Stammlokale wie das „Lampion“ oder die „Möwe“ in Berlin. 

Allgemein war das Boheme-Leben ein Nischen-Leben, bedroht durch die Partei als Großinquisitor: 

„Die dogmatischen Vorschriften und die selbstherrliche Gängelei der Kulturpolitik führten nach einer Phase des Einverständnisses zum ungeordneten Ausstieg aus dem ehemals Gemeinsamen. Man zog sich zurück, ohne sich mit der Macht anzulegen, ein kalter Entzug.“ (Seite 130) 

Der Stil des Buches ist eigenwillig. Es schwankt zwischen Reportage und Pseudo-Autobiografie, in der eine Madleen den/die Leser*in durch die Ostboheme führt. 

Wer damit leben kann, die/der wird einiges Spannendes zum Thema dazu lernen. 


Jutta Voigt: Stierblutjahre. Die Boheme des Ostens, Berlin 2018 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Reportageband „Frauen dieser Welt“ von Peter Menzel und Faith d'Aluisio

Buchkritik „Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel

Buchkritik „Hinterwald“ von Lissbeth Lutter