Buchkritik „Machandel“ von Regina Scheer

„Machandel“ von Regina Scheer ist zugleich ein DDR-Roman, ein Wende-Roman und ein Brandenburg-Roman. Die Kapitel im Buch geben die Perspektive unterschiedlicher Protagonist*innen wieder, deren Leben mit dem kleinen fiktiven Ort namens Machandel verbunden sind. 

Dabei ist Machandel sowohl ein alter plattdeutscher Name Wacholderbusch als auch der Name eines kleinen fiktiven Dorfes in Brandenburg, welches im Jahr 1985 nur noch von 20 Personen bewohnt wird.   

Der Roman setzt kurz vor Kriegsende 1945 an, als nach Machandel eine Zwangsarbeiterin verschleppt wird. Später fliehen auch kommunistische KZ-Häftlinge von einem Todesmarsch und landen in Machandel. Aus einem dieser KZ-Häftlinge wird später ein hochrangiger DDR-Funktionär: Hans Langner, Jahrgang 1910. 

Der Arbeiterjugendliche war in der Weimarer Republik Parteikommunist und ging 1933-35 in die Illegalität, nachdem er bis 1933 zum Thälmann-Begleitschutz gehört hatte. Nach seiner Verhaftung verbrachte er zehn Jahre, 1935 bis 1945, im Zuchthaus und als KZ-Häftling in Neuengamme und Sachsenhausen. Vom Todesmarsch 1945 gelingt es ihm mit zwei Kameraden zu fliehen. Er lernt in Machandel seine spätere Frau Johanna kennen, wird 1952 stellvertretender Minister und Volkskammer-Mitglied. Er ist aber von seinen Erfahrungen traumatisiert und schafft es kaum Gefühle zu zeigen, auch nicht gegenüber seiner Frau oder seinen Kindern. Im Roman resümiert er 1999 als Übriggebliebener über Widerstand, Haft und die untergegangene DDR.  

Die Figur des Hans Langner ist vielschichtig angelegt. Er ist nicht einfach nur ein autoritärer DDR-Funktionär, sondern eben auch ein Überlebender des Nazi-Regimes, der an den ‚Aufbau des Sozialismus‘ glaubte und um seiner toten Kameraden Willen glauben musste, auch wenn ihm nach stalinistischen Säuberungen erste Zweifel kommen.  

Dann ist da noch Natalja aus Smolensk, die als 16-Jährige 1941 als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt wurde und irgendwie in Machandel ‚hängen‘ bleibt, auch nach ihrer Befreiung 1945. Natalja und ihre Tochter Lena verbringen hier fast ihr gesamtes Leben. 

Die Kinder von Hans und Johanna Langner sind Clara und Jan Langner. Während Jan in Machandel eine glückliche Kindheit bei Ersatz-Eltern verbringt, entdeckt seine jüngere Schwester Clara den Ort erst viel später.  

Clara ist eine Germanistin, die zu der Sage des Machandel-Baum promoviert. Sie erwirbt mit ihrem Mann Michael hier eine alte Kate, die sie zum Sommerhaus ausbaut, in dem die beiden mit ihren Kindern Caroline und Julia glückliche Zeiten verbringen, fernab von den Stasi-Bespitzelungen in Ost-Berlin. 

Ihr Bruder Jan tritt eine andere Flucht an. Er reist, obwohl als Funktionärskind privilegiert, 1985 aus der DDR aus. Seine Spur als Fotograf verliert sich in Südamerika. 

Sein Freund Herbert dagegen bleibt. Ihn lernte Jan auf der Kadettenschule in Naumburg kennen, auf die vor allem die DDR-Elite ihre Kinder schickte. 

Wie jeder Ort hat auch Machandel seine Leichen im Keller. In diesem Fall die zwangssterilisierte und ermordete Marlene Peters, deren Hütte Clara Langner bezogen hat. Alle im Dorf wissen, wer sie einweisen lassen hat und warum, aber alle schweigen. 

Eine weitere Person in Manchandel ist Emma Beckenkamp, die 1944 aus dem ausgebombten Hamburg nach Machandel zog. Hier wird sie die Ersatz-Mutter einer veramter Landarbeiter-Kinderschar, die in armseligen Katen hausen. Landarmut wird im Roman immer wieder thematisiert: 

„Die Siebenjährige sagte mir einmal, sie würde ihre nackten Füße auf der Weide in den frischen Kuhfladen wärmen, während sie ihre kalten Hände an das Euter halte. 

So eine Armut hatte ich noch nie gesehen. In der Gegend von Machandel schien sie normal unter den Landarbeitern.“ (Seite 200)  

Das Buch ist auch politisch, aber auf eine eher behutsame Weise. Etwa bei der Beschreibung der beiden Wendejahre 1989/90. Nachdem es in Claras alternativen Umfeld zuvor viele Gespräche über Bleiben oder Gehen gab, gibt es im Herbst 1989 eine starke Aufbruchstimmung: 

„In diesem Herbst 89 hatten wir kaum Zeit, nach Machandel zu fahren, die Ereignisse überschlugen sich, waren wir die, die sie vorantrieben oder waren wir Getriebene? Mir schien, alle unsere Freunde, waren irgendwo unterwegs, gründeten etwas, gaben Presseerklärungen, überall fing etwas an oder ging etwas zu Ende.“ (Seite 311)  

Auch nach der Wende laufen die Fäden des Romans weiter in Machandel zusammen. Allerdings verödet das ohnehin kleine Machandel immer mehr, etwa durch das große Dorfladen-Sterben.  

So wird Machandel immer mehr zu einem Geisterort, an dem die Geister der Vergangenheit leben. 

Die Autorin erzählt in ihrem Roman an Hand verschiedener Biografien und der Geschichte eines fiktiven Ortes die Geschichte Ostdeutschlands. Scheer beweist bei ihren Figuren viel Respekt bzw. Einfühlungs- und Differenzierungsvermögen. Niemand ist eindimensional gestrickt. 

Dicke Leseempfehlung! 


Regina Scheer: Machandel, München 8. Auflage 2018. 

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