Buchkritik „Erfolgreich gegen Rechts“ von Angelina Flaig


Der Titel „Erfolgreich gegen Rechts“ des dünnen Bandes von Angelina Flaig klingt nach klassischer Ratgeber-Literatur. Der lange Untertitel zeigt aber das es um eine historische Betrachtung geht: „Wie die Freiburger 'Bürgeraktion zum Schutz der Demokratie' 1969 dazu beitrug den Einzug der NPD in den Deutschen Bundestag zu verhindern“. 

In dem im letzten Jahr erschienene Buch betrachtet die Historikerin Flaig die im Untertitel erwähnte Bürgeraktion, die 1967 in Freiburg gegen die NPD gegründet wurde und bis 1970 existierte. 

Am Anfang stellt Flaig erst einmal fest dass sich in den 1960ern ein Generationswechsel und damit ein Wertewandel ereignete.  
„Die sechziger Jahre zeichneten sich durch eine wachsende Zustimmung zur bundesrepublikanischen Demokratie sowie durch einen gleichzeitigen Rückgang der Loyaität zum Staat aus. Die politische Harmonie verlor ihren Idealwert und das politische Engagement wuchs. Die politische Kultur ließ sich nun zunehmend durch „Teilhabe, die über den Rahmen der repräsentativen Demokratie hinausging“ sowie Pluralität kennzeichnen.“
(Seite 14)    
Kritisch vom Rezensenten hinzugefügt sei noch, dass die alten nazistischen Eliten noch fest im Sattel saßen und der Wandel nur die jüngere Generation betraf. 
Dieses linksliberale Bürgertum wollte die junge parlamentarische Nachkriegsdemokratie und ihre Werte gegen die erstarkende NPD verteidigen. Aus ihren Reihen rekrutierte sich die staatstragende Bürgeraktion vor allem, die sich jenseits von Störaktionen und Verbotsforderungen gegen die NPD stellte. Konkret waren die Mitglieder vor allem Lehrer*innen, Studierende und Uni-Angestellte. Die Bürgeraktion griff vor allem auf das Mittel der Aufklärung zurück. Ziel war eine „demokratische Bewusstseinsbildung“. 

Die NPD wurde in Westdeutschland 1964 gegründet und entwickelte sich schnell zum Sammelbecken der Kräfte rechts von der Union. Sie vereinte alte Nazis und andere Rechte und war eine heterogene Partei, die nicht einfach mit der heutigen neonazistischen NPD gleich gesetzt werden kann. Gleichzeitig herrschte von 1966-69 eine Große Koalition von SPD und Union. Die scheinbare 'Alternativlosigkeit' führte viele zur Wahl der NPD. 

Die Bürgeraktion wollte etwas gegen den Erfolg der NPD tun und begab sich ins Getümmel, agierte aber sehr professionell. Sie stellte Diskussionsredner*innen gegen die NPD auf deren Veranstaltungen, vor allem im ländlichen Raum. Diese Diskussionsredner*innen hielten ihre Mitgliedschaft in der Bürgeraktion geheim und hatten eine gute Kenntnis über Ablauf und Argumentationslinien der NPD. Es ging nicht um den 'Sieg' über die NPD-Vertreter*innen, sondern darum die Besucher*innen zu beeinflussen, auch durch eine dosierte Polemik. Dazu wurde auf eine sachliche Auseinandersetzung bzw. argumentative Aufklärung gesetzt. Notfalls versuchte man auch die Diskussion zu erzwingen. Es wurden „Taktische Anweisungen für das Verhalten auf NPD-Versammlungen“ erstellt und Wert auf korrektes Verhalten gelegt. 

Neben die Intervention über Diskussion wurden auch eigene Wahlzeitungen und Flugblätter erstellt und verteilt, die teilweise auf spezifische Gruppen abgestimmt (z.B. Bauern) wurden.
Auf den Flugblättern wurden auch wie in den Diskussionen viele kritische Fragen gestellt. Spannend war es auch zu lesen dass die Gruppe manchmal ein Direktflugblatt für NPD-Kundgebungen produzierte. Dazu wurde das Gehörte in eine unmittelbare Gegen-Argumentation niedergeschrieben („Soeben sagte Herr von Thadden ...“) und noch vor dem Ende der NPD-Kundgebungen gedruckt und verteilt. 
Hinzu kamen Nichtwahlaufrufe in der Presse und Informationsvorträge, um NPD-Gegner*innen zu informieren. 

Zur Landtagswahl 1968 besuchten Mitglieder der Bürgeraktion im Landtagswahlkampf 200 NPD-Veranstaltungen und verteilten insgesamt 1,2 Millionen Flugblätter, viele davon auch in kleineren Gemeinden. Die Bürgeraktion stellten aber fest dass sie ab März 1968 weniger Erfolg bei der Intervention in NPD-Veranstaltungen hatte, weil nur noch Mitglieder und SympathisantInnen die Veranstaltungen der NPD besuchten und nicht wie zuvor eher politisch Interessierte, die sich noch nicht fest gelegt hatten. Inhaltlich wurde von der Bürgeraktion u.a. mit der Skandalisierung der NS-Vergangenheit des NPD-Landesvorsitzenden gearbeitet.  
Die Bemühungen scheiterten aber letztendlich als die NPD 1968 mit 9,8% der Stimmen in den Landtag einzog. Jedoch lagen im Schwerpunkt Südbaden bei den von der Bürgeraktion besuchten Gemeinden die Ergebnisse 1-2% unter dem Schnitt.  

Zur Bundestagswahl 1969 verbündete sich die Gruppe mit Gleichgesinnten in ganz Westdeutschland. Die Bürgeraktion versuchte damit ihre Ressourcenknappheit durch Netzwerke zu kompensieren. Es wurde eine Wahlkampfzeitung im Stil der BILD-Zeitung mit dem Titel „Die Wahrheit über die NPD“ herausgegeben, auch als Antwort auf die NPD-Kuriere. 


Die Auflage lag bei 1,8 Millionen Exemplaren. Inhaltlich schrieben auch konservative AutorInnen und ein Ex-NPDler als „Kronzeuge“ mit. Verbunden war das oft mit einer nationalen Argumentation: „Wer NPD wählt – wählt gegen Deutschland“.  
Dem Nationalsozialismus wurde auch der verlorene Weltkrieg angelastet, aber kaum die Toten der Angegriffenen, sondern vor allem die 'eigenen' Toten. Ein vermeintlich „aufrechter Patriotismus“ wurde einem „aggressiven Nationalismus“ gegenüber gestellt. So wurden vor allem konservative WählerInnen angesprochen. 
Diesmal blieb die NPD unter 5% der Stimmen und konnte damit nicht in den Bundestag einziehen.  
Unklar ist, wieviel die Bürgeraktion und ihre Verbündeten dazu beitrugen. Viele Analysen gehen eher davon aus, dass die Gründe für die 'nur' 4,3% der Stimmen vor allem in einer Wohlstandsbejahung, die aber keine Demokratiebejahung ist, zu suchen sind. 

Es stellt sich natürlich die Frage, was und wieviel man sich von der Bürgeraktion für den Umgang mit der AfD abschauen kann. Nicht alles ist übertragbar, u.a. weil die technischen Voraussetzungen andere sind und viele AfD-Gegner*innen von heute nicht so staatstragend sind wie die Bürgeraktion. 
Die Zielgruppenorientierung auf einzelne Wähler*innen-Gruppen wäre auch heute noch vielversprechend. Auch der Einsatz von geschulten Diskussionsredner*innen auf AfD-Veranstaltungen wäre denkbar. Damit würde aber im Gegensatz zu Blockaden etwa die Veranstaltung an sich akzeptiert. Der Rezensent sieht ehrlich gesagt letzteres lieber. 
Vor allem aber sollte es ein Vorbild sein, wieviele Mühen die Aktivist*innen der Bürgeraktion auf sich genommen haben. So berichtet Dietrich Elchlepp, dass „einige jüngere Mitstreiter […] von Freiburg aus Woche um Woche abends in die umliegenden Dörfer, manchmal 100 Kilometer weit [fuhren], um sich der NPD zu stellen.“ (Seite 42) 
Das ist natürlich aufwendiger als ein Online-Aktivismus, der sich mit ein paar Klicks genügt. 


Angelina Flaig: Erfolgreich gegen Rechts. Wie die Freiburger „Bürgeraktion zum Schutz der Demokratie“ 1969 dazu beitrug den Einzug der NPD in den Deutschen Bundestag zu verhindern, Neu-Ulm 2019.   

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