Buchkritik „Die Zeuginnen“ von Margaret Atwood


Mit „Die Zeuginnen“ von Margaret Atwood erschien 2019 die Fortsetzung des Bestsellers „Der 


Report der Magd“ aus dem Jahre 1985. Obwohl diese Fortsetzung ganze 35 Jahre später erschien, 


sind im Buch nur 16 Jahre vergangen.





In „Der Report der Magd“ beschrieb Atwood das Innenleben im klerikalfaschistischen Staat Gilead,


der auf dem Gebiet der heutigen USA entstand. Dieser ist als extremes Patriarchat organisiert und


nach einem strengem Kastensystem strukturiert.


Ganz unten stehen die „Ökonos“, die einfachen Arbeiter und Arbeiterinnen. Dann kommen die


Mägde, die nicht nur Mägde sind, sondern auch gezwungene Leihmütter der Ehefrauen der


Kommandanten.


Die Führungsspitze von Gilead rekrutiert sich aus den so genannten „Söhnen Jakobs“, die Gilead


durch einen Putsch gründeten:


„Es hat einen Putsch gegeben, hier in den Vereinigten Staaten, wie in so vielen anderen Ländern in 


der Geschichte. Jedem gewaltsamen Regierungswechsel folgt eine Bewegung, um die Opposition 


auszuschalten. Die Opposition wird von den Gebildeten angeführt, also sind die Gebildeten die 


Ersten, die dran glauben müssen.“ (Seite 165)



Auch 16 Jahre nach den Ereignissen in „Report der Magd“ ist Gilead ein Gottesstaat. Die „Republik


Gilead“ ist eine puritanische Theokratie zulasten vor allem von Frauen. So entspricht in Gilead


beispielsweise – ähnlich wie in der Scharia – die Zeugenaussage eines Mannes vor Gericht, der von

vier Frauen.


Allerdings befindet Gilead sich in der Krise: Menschen fliehen aus dem Territorium in


Nachbarstaaten. Es existiert ein Flüchtlingsnetzwerk für Frauen und sowohl im Inneren als auch im


Ausland ist der Mayday-Widerstand aktiv. Es gibt immer wieder Säuberungen in der Führungsspitze.


Ganze Landesteile befinden sich in Rebellenhand (z.B. Kalifornien oder die abgespaltene 'Republik


Texas'). Auch international steht Gilead wegen seiner Menschenrechtsverletzungen stark in der


Kritik.



Ein Geheimdienst, genannt 'die Augen', überwacht die Bevölkerung Gileads auf abweichendes


Verhalten und die Sanktion darauf ist nicht selten die Todesstrafe. Eine Variante der Hinrichtung in


Gilead ist die so genannte „Partizikution“, bei der Mägde das Opfer eigenhändig lynchen können


und in diesem Akt ihre unterdrückten Gefühle an einem daran Unschuldigen auslassen können.


Das Geschehen im Buch wird von Atwood aus der Perspektive von drei Frauen erzählt:




Tante Lydia


Auf Frauen-Seite werden die Frauen, besonders die Mägde, von den so genannten „Tanten“


kontrolliert und diszipliniert. Eine davon ist „Tante Lydia“, die die Disziplinierungsanstalt „Haus


Arduna“ in Gilead leitet. In der Zeit vor Gilead war sie eine Richterin. Durch Kollaboration und


Opportunismus überlebte sie die Säuberungen bei der Gründung von Gilead. Dabei wäre sie als


intellektuelle Frau das ideale Opfer der neuen Machthaber gewesen: „Es reichte schon, ein 


Jurastipendium und eine Gebärmutter zu haben: eine todbringende Kombination.“ (Seite 202)


Stattdessen stieg Lydia auf und wurde bei der Zurichtung junger Frauen zu Mägden unentbehrlich.


Sie ist die Verbündete von Kommandant Judd, der ein Veteran aus der Gründungszeit von Gilead ist


und damit auch gleichzeitig ihr alter Peiniger war. Doch sie kennt die Geheimnisse der


Führungsriege Gileads, womit sie auch als Frau viel indirekte Macht besitzt.




Agnes


Dann ist da noch Agnes Jemima, die als Kommandanten-Tochter in Gilead aufwächst. Sie ist zwar


privilegiert, soll aber wie jede Frau Gileads zwangsverheiratet werden. Obwohl sie stark


indoktriniert


wurde, beginnt Agnes dagegen zu rebellieren. Sie macht eine „Berufung“ zur „Tante“ geltend, um


der Zwangsverheiratung zu entkommen.




Daisy


Zuletzt wird die Geschichte noch aus der Perspektive der 16jährigen Daisy in Kanada erzählt. Daisy 


wächst bei Neil und Melanie in Toronto auf und ist ein normales kanadisches Teenager-Girl. 


Jedenfalls glaubt sie das, bis sie erfährt dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen Eltern sind. Die Spur


ihrer Herkunft führt nach Gilead. Also lässt sie sich von einem „Perlenmädchen“, Rekrutiererinnen


im Auftrag Gileads, missionieren.





Einige Anspielungen oder Analogien sind für Wissende offensichtlich. Die „Söhne Jakobs“ muten


wie eine christliche Endzeit-Miliz an, von denen es in den USA einige gibt.


Die Mayday-Lincoln-Brigade ist natürlich eine Anspielung auf die Lincoln-Brigade die im


Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite gegen die Franco-Diktatur kämpfte.



Atwood hat eine gute Fortsetzung abgeliefert, die aber anders als der Vorgänger dem Bedürfnis nach


einem „Happy End“ stärker nachgibt.


Trotzdem lohnt sich die Lektüre.






Margaret Atwood: Die Zeuginnen, Berlin 2019. 

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