Buchkritik „Terranauten“ von T.C. Boyle

Der Roman „Terranauten“ aus dem Jahr 2016 von T.C. Boyle spielt in Arizona und auch wieder nicht. Denn eigentlich geht es um acht Wissenschaftler*inne, die sich in einer gläsernen künstlich simulierten Ökosphäre („Ecosphere“), genannt „Ecosphere 2“ bzw. „E2“, für zwei Jahre hermetisch einschließen lassen. 
Aus 16 Anwärter*innen wurde nach einer dreijährigen Auswahl- und Trainings-Prozedur folgende vier Männer und vier Frauen ausgewählt:
Dawn Chapman (Nutztierwäterin), Tom Cook (Technosphärensupervisor), Gretchen Frost (Wildbiotopsupervisiorin), Diane Kesselring (Kapitänin, Nutzpflanzsupervisiorin), Richard Lack (Missionarzt), Ramsay Roothoorp (Kommunikationsoffizierin, Leiter des Bereichs Wassermanagment), Troy Turner (Leiter des Bereichs Analytische Systeme) und Stevie van Donk (Spezialistin für Meeresökologie).
Diese acht Menschen werden am 6. März 1994 eingeschlossen und sollen die kommenden zwei Jahre wie auf einer einsamen Insel leben.
Über sie wacht gottgleich die „Mission Controll“ und gibt per Funkkontakt Anweisungen. 
Auf dieser Insel leben in den fünf Biomen Regenwald, Wüste, Marsch, Ozean und Savanne 3.800 Spezies. Eine Anbauzone sorgt mittels Subsistenzwirtschaft für die notwendigen Nahrungsmittel. Doch insgesamt 10-12 Stunden Arbeit täglich, um sich die minimale Tagesration von 1.500 Kalorien zu verdienen. Bis auf ein paar Feiertage gibt es keine Ferien.
Das Essen reicht zum Überleben, aber nicht zum satt werden. Hungerfantasien etablieren sich in der Crew. Die soziale Enge bedingt eine starke soziale Kontrolle, die durch die Kameras der „Mission Controll“ und die Besucher*innen jenseits der Glaswand ergänzt wird. Konflikte kommen auf, die auch aus wechselnden Liebes-Beziehungen resultieren.
Ein Stromausfall führt zum Ausfall der Luftzirkulation und „E2“ lädt sich wie jedes Treibhaus in der Sonne Arizonas schnell auf. Den Bewohner*innen droht der Hitzetod.
Doch ein Verlassen von „E2“ würde das Scheitern des Experiments bedeuten. Ein Streit unter den Terranauten entbrennt.
 
Boyle beschreibt auf Basis realer Erlebnisse eine Art Menschenterrarium und wie die soziale Enge und das Verhalten von Personen außerhalb von „E2“ immer mehr zu Konflikten führen, die u.a. durch technische Probleme noch angeheizt werden. Anders als ein Flug zum Mars, können die Terranauten aber jederzeit abbrechen und ihr selbst gewähltes Gefängnis verlassen. Es handelt sich im Grunde eher um eine Art kollektive Wette, die sie eingegangen sind.
Meisterlich beschreibt Boyle die Situation aus drei Perspektiven und hält dadurch die Spannung am Kochen.
Da ist zum einen als sprichwörtliche Außen-Seiterin Linda Ryu, die den Auswahlprozess verloren hat und mit diesem Schicksal hadert. Sie wird dadurch zeitweise zur Alkoholikerin und versucht durch allerlei Ränke ihre Chancen für die nächste Mission zu steigern.
Ihre beste Freundin Dawn Chapman, genannt „E.“, hat es dagegen als Nutztierwärterin in die Ecosphere geschafft. Sie hält Ryu für ihre beste Freundin, während diese mit ihrem, in der Außenwelt zurück gebliebenen, Freund Johnny eine Affäre anfängt.
Die dritte Perspektive ist die von Ramsay Roothoorp, genannt „Vaj“. Der Kommunikationsoffizier ist ein Aufreißer und bändelt mit E. an.
Während Ryu und Raj eher Unsympathen sind, wirkt E. auf den/die Leser*in stellenweise sehr naiv.
Als E. von Raj schwanger wird ist die Katastrophe perfekt, denn Abbrüche sind in der Ecosphere kein vorgesehener Eingriff.
Mit erkennbaren Vergnügen an der Eskalation beschreibt Boyle spannend wie Menschen unter extremen Bedingungen an sich selber scheitern.
Lesetipp!


T.C. Boyle: Terranauten, München 2017.

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