Buchkritik „Obdachlos“ von Robert Lucas Sanatanas



Das Buch „Obdachlos“ von Robert Lucas Sanatanas versammelt verschiedene Porträts von Menschen, die auf der Straße leben.
Zum Unterschied zwischen Obdachlosen und Nicht-Obdachlosen heißt es bereits im Vorwort:
Unser »Drin« ist uns etwas wert. Was immer wir unter Drin zu verstehen wünschen, es gilt uns als ein wichtiger Bestandteil unserer Sicherheiten. Wir verteidigen unser Drin, das ist für uns ebenso selbstverständlich, wie wir unsere Wege nach »Draußen« als freiwillig empfinden möchten. […] Jenes Draußen aber, das Ihnen hier über mehrere Kapitel hinweg begegnen wird, entspricht möglicherweise nicht unseren Sehnsüchten und Wünschen. Sie erfahren etwas über Obdachlose, Berber und Penner, lesen von Dieben, Arbeitssklaven und Betrügern, von Sektenmitgliedern, Schmugglern und Dealern. Von den kleinen Göttern und Gebietern wider Willen und ihren oft so grotesken Balanceakten am Rand der Gesellschaft. Von denen, die gerade vorhin in der Straßenbahn neben Ihnen gestanden haben könnten.“ (Seite 9)

Die porträtierten Obdachlosen sind sehr unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Überlebensstrategien: Eine Wendeverlierin, mehrere Kriminelle, eine Hackerin, ein Zeitmaschinenenerfinder, ein Konferenz-Hopper, der überlegt, indem er sich auf Konferenzen einschmuggelt, ein Reichsbürger oder ein verbannter Jünger Hare Krishnas.
Erwähnt wird sogar eine Sexarbeiterin, die sich auf Obdachlose spezialisiert ist, selber aber eine Wohnung hat. Porträtiert werden vor allem Gesellschaftsverweigerer.

Die kurzen Biografien sind Selbstporträts gemalt mit angeblichen Zitaten der Porträtierten. Diese klingen lesen sich teilweise philosophisch, auf jeden Fall sehr literarisch:
»Sieh sie Dir an!«, murmelt Dark Vader. »Alles Leute, die ihr Leben lang möglichst intelligent darüber jammern, dass sie wieder sterben werden.«“ (Seite 32)
Es gibt ihn, den »echten Schicksalsschlag«. Jemand kann wegen zehn kurzer Sekunden ohne Beherrschung lebenslang wegen Mordes hinter Gitter wandern. Es kann auch jemand wegen eines einzigen, ihm restlos unverständlichen Moments, in welchem ihn ganz unerklärliches, brutales Pech ereilt hat, sein Leben lang benachteiligt bleiben.“ (Seite 47)
Weißt Du, wie diese Stadt hier so gegen fünf Uhr morgens riecht, bevor alles nach Putzmitteln zu stinken beginnt? Da gibt es so eine riechbare Viertelstunde der Wahrheit: Pisse, Scheiße, Kotze, Bier.“ (Seite 121)
„[…] trifft Johannes auf die Geistesweltganoven des gentrifizierten Berlins, auf spirituelle Ratten, die sich Workshop-Leiter, Aufgestiegene Meister, Geistheiler und Kraftanwälte nennen. Er irrt in den Meditationsräumen und Lichtzentren umher und bezahlt unglaublich viel Geld und eine Menge Zeit für einen Haufen glänzend verpackten Unsinns.“ (Seite 129)
Seltsamerweise ähneln sich die angeblichen Zitate der Porträtierten und der übrige Text, also der von Sanatanas. Somit bleiben Zweifel zurück, ob hier wirklich eine weitere Person spricht. Ohnehin wirken einige der Biografie zu fantastisch.
Am Ende des Buches macht der Autor möglicherweise ein Eingeständnis:
Man könnte mit guter Laune schöne Geschichten über das Draußen erfinden, aber es gibt sie nicht, die Action des Draußen. Nirgendwo. Wer sie gefunden zu haben behauptet – trauen Sie ihm fortan nie wieder.“ (Seite 200)

Das Buch ist möglicherweise eher fiktiv als eine Beschreibung realer Obdachlosen-Biografien. Vielleicht ist das nicht so wichtig, allerdings sollte das kenntlich gemacht werden.
Stellenweise liest sich das Buch gut, aber trotzdem gibt es keine Leseempfehlung. Zumal die etwas mehr als 200 Seiten mit 25 Euro teuer bezahlt sind.


Robert Lucas Sanatanas: Obdachlos. Porträts vom Leben auf der Straße, Freiburg/Breisgau 2016.

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